Interview: "Grundsätzlich würden alle Paare von einer Paartherapie profitieren"

Dr. Sandra Gerstorf, Sie sind Paar- und Einzeltherapeutin mit Sitz in Berlin. Welche Probleme haben die Menschen, die zu Ihnen kommen?

 

In den Einzelsitzungen dreht es sich um Partnerschaften im weitesten Sinne. Oft kommen Menschen, die sich gerade getrennt haben bzw. getrennt wurden, um die Trennung aufzuarbeiten und gut abzuschliessen. Ich habe aber auch Klientinnen, die keinen Partner finden und im Alter zwischn 35 und 42 sind und sich große Sorgen machen, ob Sie jemals Kinder bekommen werden, den Druck der biologischen Uhr deutlich spüren und Hilfe damit bekommen möchten. In der Arbeit mit Paaren sind die Gründe sehr vielfältig: einseitiger oder auch unerfüllter Kinderwunsch ist recht häufig, gefolgt von Schwierigkeiten, wertschätzend miteinander zu reden und den Partner wirklich zu verstehen bzw. sich selber überhaupt nicht richtig vom Partner verstanden zu fühlen, oft nachdem ein eigentlich positives Ereignis, wie die eigene Hochzeit oder die Geburt eines Kindes vorangegangen ist. Und dann gibts es noch viele weitere Gründe mehr: Seitensprünge, Belastungen der Partnerschaft aufgrund von Wochenendbeziehung, Vereinbarkeit von Beruf und Familie, chronische Erkrankung eines Partners und vieles mehr.


 

Wie schwerwiegend müssen die Gründe sein, um zu einer Paartherapie zu gehen?

 

Grundsätzlich würden alle Paare von einer Paartherapie profitieren. Man muss nicht eine bestimmte kritische Schwelle überschritten haben, um sich dafür zu “qualifizieren”. In der Tat ist es so, dass umso liebevoll zugewandter die Partner (noch) miteinander sind, umso schneller ist die Paartherapie natürlich auch erfolgreich. Manchmal reicht dann schon eine Sitzung aus um alles wieder in die richtige Bahn lenken zu können. Leider ist es derzeit noch oft so, dass in Deutschland die meisten Paare erst kommen, wenn der Leidensdruck so hoch ist, dass sie es kaum noch aushalten können. Eine vorangegangene Leidenszeit von 10 Monaten bis hin zu 3 oder sogar mehr Jahren ist leider gar keine Seltenheit. Das ist sehr traurig. Rasende Kopfschmerzen würde niemand so lange in Kauf nehmen, da wäre man längst zu zehn verschiedenen Ärzten gegangen. Warum also diese stoische Leidensfähigkeit, wenn es in der Partnerschaft schief läuft und schmerzt? In jeder Partnerschaft  knirscht es mal. Das ist unvermeidlich. Wie man damit umgeht, dass hat jeder selber in der Hand! 


 

Wann ist denn der richtige Zeitpunkt für eine Paartherapie? Wann knirscht es denn erfahrungsgemäß besonders häufig?

 

Oft nach Veränderungen sogenannten Übergängen im Leben: ein Kind, neuer Job, neuer Wohnort, auch nach Ereignissen, wie z.B. Tod eines nahen Angehörigen oder aber auch die eigene Hochzeit!!

Gibt es auch Ängste, die mit einer Paartherapie verbunden sind?

 

Die größte Angst oder Sorge ist sicherlich, dass sich zeigen könnte, dass die Beziehung keine Perspektive mehr hat und das Ende klar in Sicht ist. - - Dies kommt in sehr seltenen Fällen tatsächlich vor. Jedoch wäre in diesen Fällen auch ohne Paartherapie nach einer längeren schmerzhaften Phase die unvermeidliche Trennung erfolgt. Für ca 70-80% der Paare bringt eine Paartherapie eine deutliche Verbesserung ihrer Beziehung mit sich. Dies zeigt sich in wiedergefundener größerer emotionaler Nähe zueinander, besserer Kommunikation miteinander und dem Heilen & Verzeihen mitunter schon sehr alter Wunden.


 

Was ist Paartherapie -- ganz vereinfacht ausgedrückt? 

 

Paartherapie ist kein einheitliches Feld. Für mich bedeutet es: Ein sicherer, neutraler Raum, wo auf eine liebevolle, wertschätzende Art und Weise eine neutral Person

a) zuhört und beide Partner dazu bringt, wieder zuzuhören und

b) gezielte Fragen stellt, um Muster zu erkennen und zu unterbrechen und 

c) neue Brücken zueinander anbietet.

Also in einen Satz gesagt: Eine heilsame Unterbrechung des Alltags, um die Beziehung wieder aufzupeppeln.

 



Sie haben ihre Ausbildung in den USA gemacht. Worin unterscheidet diese sich ihrer Meinung nach von der in Deutschland?

 

Der Titel “Paartherapeut” ist nicht geschützt. Ärzte, Psychologen, Heilpraktiker oder auch Theologen arbeiten als Paartherapeut. Jeder dieser Gruppen hat eine völlig andere Ausbildung und herangehensweise.

 

Leider ist es in Deutschland immer noch so, dass die Ausbildung zum Paartherapeuten extrem unterschiedlich und in keinster Weise standardisiert ist Der Titel “Paartherapeut” ist in Deutschland nicht gesetzlich geschützt. Ärzte, Psychologen, Pädagogen, Heilpraktiker oder auch Theologen arbeiten als Paartherapeut. Jeder dieser Gruppen hat eine völlig andere Ausbildung was Dauer, Fokus und Herangehensweise betrifft -- manche belegen lediglich ein Wochenendseminar zum Thema!

Ich habe meine Ausbildung in den USA gemacht, wo “couples therapy and family dynamics” ein Studienschwerpunkt an vielen Universitäten ist. Ich hatte das Glück und die Ehre vier Jahre lang am Department of Clinical Psychology and der Pennsylvania State University studieren zu können. Das war absolut großartig. 


 

Was ist das Wichtigste für den Erfolg?

 

Das Gefühl der Paare, dass sie mir vertrauen können und auch verletzliche Seiten zeigen können, weil sie sich sicher in dem geschaffenen Raum mit mir fühlen. Wenn Paare kein gutes Bauchgefühl nach der ersten Stunde haben, sollten sie lieber einen anderen Paartherapeuten aufsuchen. Das Sicher- und Wohlfühlen ist ganz zentral.